“Das alte Guggisberglied gilt nicht nur als eines der ältesten, sondern auch als eines der schönsten Volkslieder der deutschen Schweiz. Sicher wird sich niemand der stillen Gewalt ganz entziehen können, die diese altertümliche, ernste Moll-Weise jedesmal ausübt, wenn sie zur rechten Stunde vor einem empfänglichen Zuhörerkreis angestimmt wird.”
Dr. Otto von Greyerz, 1912
‘s isch äben e Mönsch uf Ärde – Simelibärg!
– Und ds Vreneli ab em Guggisbärg
und ds Simes Hans-Joggeli änet dem Bärg –
‘s isch äben e Mönsch uf Ärde,
dass i möcht bi-n-ihm si.
Und mah-n-er mir nit wärde,
vor Chummer stirben-i.
U stirben-i vor Chummer,
so leit me mi i ds Grab.
I mines Büelis Garte
da stah zweu Bäumeli.
Das eini treit Muschgate,
das andri Nägeli.
Muschgate, die si süessi
und d’Nägeli si räss,
I gab’s mim Lieb z’ versueche,
dass ‘s miner nit vergäss.
Ha di no nie vergässe,
ha immer a di dänkt.
Es si numeh zweu Jahre,
dass mi han a di ghänkt
Dört unden i der Tiefi,
da steit es Mülirad.
Das mahlet nüt as Liebi,
die Nacht und auch den Tag.
Das Mühlirad isch broche,
mys Lyd(e), das het en Änd.
Hinweise auf Geschichte und Lied
Die Geschichte von Vreneli und Hans-Joggeli mag sich zwischen 1660 und 1670 zugetragen haben. Im Rodel der Einwohnerzählung von 1715 findet sich ein “Simes Hans Jaggi” als Wittwer bei seinen Söhnen Hans und Jakob. Er war wohl aus dem Kriegsdienst heimgekehrt und wohnte zu Wahlenhaus (“änet dem Bärg”, also hinter dem Guggershorn). Mit “Simeliberg” ist wohl das Guggershorn gemeint.
Schriftlich erwähnt wird das alte Guggisbergerlied schon 1764 vom österreichischen Staatsmann Karl Graf von Zinzendorf, der es auf einer Schweizerreise in Chur kennengelernt und aufgeschrieben hatte. Bereits vorher (1741) wird in einem gereimten Text über das Käsmahl in Wimmis vom dortigen Dorfschulmeister erzählt, der damals das Lied vom “Vreneli ab em Guggisberg” angestimmt habe.
Das traurig gestimmte Lied besteht zwar aus verschiedenen Teilen (mit beschwingtem Zwischenstück, mit Wander-Strophen) – und blieb doch als Ganzes über Jahrhunderte erhalten. Es hat Guggisberg in der deutschen Schweiz und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht. Es gibt verschiedenste Vertonungen; bis heute dient die unverkennbare Melodie unterschiedlichsten Interpreten als Vorlage.
So erzählt man sich in Guggisberg die Geschichte von Vreneli und Hans-Joggeli.
Im Dorf Guggisberg, am Fusse des Guggershorns, steht der stattliche Bauernhof “Linde”, wo das Vreneli wohnte. Leider verlor es früh den Vater. Der Ammann auf der “Zelg” stand der Witwe und ihrer minderjährigen Tochter mit Rat und Tat bei. Er hätte gerne durch eine Heirat seines Sohnes mit der “Linden”-Tochter die beiden schönen Höfe vereint. Aber zu spät: Vreneli hatte schon früh eine andere Wahl getroffen: es liebte den “Simes Hans-Joggeli”, Sohn des Simon, der “änet dem Bärg”, d.h. hinter dem Guggershorn zu Wahlenhaus, auf der Schattseite, wohnte.
Dem wohlhabenden Ammanns-Sohn war der Kleinbauernsohn ein Dorn im Auge. Er wollte seine Ansprüche an die junge, hübsche “Linden”-Tocher dem ungebetenen Nebenbuhler handgreiflich kundtun und lauerte ihm eines Abends auf. Doch der Schattseitenbauer war stärker und der Ammanns-Sohn blieb nach einem unglücklichen Sturz bewusstlos liegen. Hans-Joggeli glaubte, der wäre tot. In seiner Verzweiflung floh er und liess sich in fremde Kriegsdienste anwerben. Das war für ihn die einzige Lösung, um einer Verurteilung zu entgehen. Zurück blieb Vreneli mit seiner Liebe, seiner Sehnsucht, seiner Treue und uns blieb das zu Herzen gehende Lied.